Erschütterung über Jean Vanier
Das Ergebnis einer von der Internationalen Arche in Auftrag gegebenen Untersuchung belastet den Arche-Gründer Jean Vanier schwer
Nachtrag: Der französische Fernsehsender KTO hat ein Interview mit Stephan Posner, dem Leiter der Internationalen Arche, ausgestrahlt (auf YouTube ist es mit englischen Untertiteln versehen).
In diesem Gespräch wird der Schmerz über den Missbrauch durch Jean Vanier deutlich, aber auch die klare Haltung der Verantwortlichen und ihr – wie ich finde – weiser Umgang mit dieser sehr herausfordernden Situation:
Am vergangenen Samstag, 22. Februar 2020, hat die Internationale Arche die Ergebnisse einer unabhängigen Untersuchung bekannt gegeben.
Jean Vanier (1928 bis 2019) war Mitgründer der Arche-Gemeinschaften, in denen Menschen mit und ohne Behinderung zusammen leben. Der promovierte Philosoph und katholische Christ war einer der großen spirituellen Schriftsteller unserer Zeit.
Wir zitieren hier aus der Website der Arche Deutschland:
Nachdem der geistliche und sexuelle Missbrauch durch P. Thomas Philippe, den geistlichen Mentor von Jean Vanier, in den vergangenen Jahren aufgedeckt worden ist, hat die Internationale Arche im vergangenen Juni eine gründliche und unabhängige Untersuchung in Auftrag gegeben. Diese Untersuchung sollte das Umfeld von P. Thomas Philippe und die Rolle von Jean Vanier darin beleuchten und zu mehr Klarheit über die Gründungsgeschichte der Arche beitragen. Das Ziel war es, mit den daraus gewonnenen Erkenntnissen unsere Richtlinien und Verfahren zur Prävention von Missbrauch noch besser anzupassen.
Nun liegt das Ergebnis der Untersuchung vor, das uns schwer erschüttert hat. Wir sind schockiert zu erfahren, dass nicht nur P. Thomas Philippe, sondern auch Jean Vanier in geistlichen und sexuellen Missbrauch verstrickt war. Das Ergebnis der Untersuchung macht uns in hohem Maße betroffen. Die Auswertung der Quellen, zu denen die Internationale Arche Zugang bekam, und der Zeugenaussagen, die dem Untersuchungsteam zur Kenntnis gebracht wurden, ergaben, dass der Arche-Gründer Jean Vanier offenbar nicht nur früh von den Missbrauchstaten seines geistlichen Mentors P. Thomas Philippe gegenüber erwachsenen Frauen wusste, sondern auch selbst im Rahmen geistlicher Begleitung gegenüber erwachsenen Frauen sexuelle Übergriffe begangen hat, was einige dieser Frauen tief verletzt hat. Bei den betroffenen Frauen handelt es nicht um Personen mit Behinderung.
Wir verurteilen die Taten Jean Vaniers zutiefst. Sie sind mit den Grundsätzen und Werten der Arche, wie wir sie leben, vollständig unvereinbar. Die Detailergebnisse der Untersuchung sind hier nachzulesen (Website der Internationalen Arche in Englisch bzw. Französisch). Eine deutsche Übersetzung des Briefes der Internationalen Leiter Stephan Posner und Stacy Cates-Carney mit einer Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse ist hier zu finden.
Wir wünschen uns und laden ein, dass alle, die der Arche verbunden sind, uns dabei unterstützen, die richtigen Folgerungen aus diesen schockierenden Erkenntnissen zu ziehen.
Auch der Neufeld Verlag ist erschrocken über diese Erkenntnisse. Vaniers Verstrickung in geistlichen und sexuellen Machtmissbrauch sowie seine sexuellen Übergriffe müssen eindeutig als schwere Verfehlungen betrachtet werden. Die betroffenen Frauen haben als Opfer darunter gelitten und zu leiden.
Wir sind um so mehr betroffen, als der Herzschlag von Jean Vanier eine echte Inspiration für uns ist: Der Freund und radikale Fürsprecher von Menschen mit geistiger Behinderung lädt uns ein, ihre Gaben ernst zu nehmen und von ihnen zu lernen.
Im Laufe der Jahre hat Vaniers Lebensmission ihren Niederschlag sehr sichtbar im Neufeld Verlag (und im persönlichen Leben des Verlegers David Neufeld) gefunden; wir teilen die tiefe Überzeugung, dass Menschen mit Behinderung uns etwas zu sagen und zu geben haben.
Wohl wissend, dass kein Mensch perfekt ist und Christen begnadigte Sünder sind, trifft es uns doch tief, dass ein Mensch wie Jean Vanier – mit einer solch umfassend liebevollen Ausstrahlung und einem tiefen Verständnis des Reiches Gottes – sich in dieses Verhalten verstrickte und offenbar nicht bereit war, diese Schattenseiten seines Lebens unter das Licht Gottes zu bringen.
Diese Nachricht ist für uns auch eine Mahnung zu einem verantwortlichen Umgang mit Macht und Einfluss, mit uns anvertrauten Menschen, mit Sexualität.
Hinweis vom Februar 2023:
Die Internationale Föderation der Arche hat am 30. Januar 2023 in Paris die Ergebnisse einer Studienkommission veröffentlicht, welche die in 2020 enthüllten Missbrauchsfälle des Arche-Gründers Jean Vanier und seines geistlichen Begleiters Thomas Philippe eingehender untersucht hat.
Der Bericht der unabhängigen Studienkommission stellt dar, dass sich um den Dominikaner Thomas Philippe und Philosophie-Dozenten Jean Vanier eine sektenartige Gruppe gebildet hatte, welche die Missbrauch begünstigende erotisch-mystische „Theologie“ von Thomas Philippe teilte. Bei beiden stellt die Kommission u. a. Einflussnahme und Manipulation, sexuellen Missbrauch, kollektiven Wahn, die Verfälschung von zentralen christlichen Begriffen sowie inzestuöse Darstellungen der Beziehung zwischen Jesus und Maria fest.
Auf der Website der Arche Deutschland gibt es nähere Informationen.
Den ausführlichen Bericht der Studienkommission (knapp 900 Seiten) kann man auf deren Website auf Englisch oder Französisch (Original) lesen. Eine Zusammenfassung gibt es auch auf Deutsch.
Vor dem Hintergrund dieser Untersuchungsergebnisse haben wir uns als Verlag entschlossen, die Biografie Jean Vaniers von Kathryn Spink sowie seine eigenen Bücher nicht mehr zu verbreiten.