Trau dich!

Unser Sohn Alexander ist dieses Jahr 20 geworden. Und auch wenn wir schon eine ordentliche Wegstrecke miteinander zurückgelegt haben, denke ich manchmal: Ich stehe irgendwie noch ganz am Anfang, zu begreifen, was für ein außergewöhnlicher Mensch er ist. Alex hat das Down-Syndrom.

Im Laufe der Jahre habe ich natürlich schon manches entdeckt, was ich von ihm lernen kann und was auch andere Menschen inspiriert, denen er begegnet.

Mut, einfach zu springen

Zum Beispiel sein unerschrockener Mut. Ich erinnere mich noch gut an jenen Sommer vor ein paar Jahren, als meine Eltern, meine vier Brüder und all unsere Familien uns für ein Wochenende trafen. Ausgerechnet da kletterten die Temperaturen auf Rekordniveau, und wir befanden uns auch noch an genau dem Ort in Deutschland, wo sie schließlich am höchsten waren. Außer im Schatten zu sitzen und ins Schwimmbad zu gehen, war also nicht viel Programm angesagt.

Und im Schwimmbad hat Alex dann mal wieder gezeigt, wie unerschrocken er sein kann. Zielstrebig ist er die Leiter zum Drei-Meter-Turm hochgeklettert, hat sich einmal umgeschaut …

Alex wagt den Sprung

… und sich dann mutig fallen lassen (Foto: Julia Neufeld).

Darin war Alexander mir tatsächlich schon oft ein Vorbild – er traut sich was. Und wieviel verpassen jeden Tag unzählige Menschen, nur weil sie sich nicht trauen, den einen entscheidenden Schritt zu tun?

Was andere womöglich denken? Egal!

Ebenfalls vor einigen Jahren hat Alex in seiner Schule an einem Tanzkurs teilgenommen. Am Ende stand der festliche Abschlussball, wie sich das gehört. Der Abend begann mit Vorführungen von verschiedenen Tanzgruppen. Nachdem zwei junge Paare, die sehr erfolgreich Rock’n’Roll tanzen, ihr Programm beendet hatten, fragten sie in die Menge, ob vielleicht jemand mit ihnen tanzen würde. Meine Frau und ich wussten schon, wer sich gleich freiwillig melden würde.

Und tatsächlich streckte Alex zügig seinen Arm in die Höhe und hatte dann überhaupt keine Hemmungen, mit diesen Semi-Profis zu tanzen. Als gegen Ende des Balls die Tanzfläche freigegeben wurde, hat er sich geradezu verausgabt und spontan alle möglichen Elemente der vorher beobachteten Tanzeinlagen in seinen freien Tanz integriert. Wir haben ihn durchgeschwitzt mit nach Hause genommen …

Keine Angst, was irgend jemand über ihn denken könnte. Keine Angst, ob das jetzt auch wirklich gut aussieht. Keine Angst, ob diese Drehung so „richtig“ war. Sondern Mut.

Viele Menschen trauen sich nicht zu tun, was sie eigentlich gerne würden. Vielleicht träumen sie davon, schwungvoll und frei zu tanzen. Und wagen doch nicht den ersten Schritt.

Alex macht Mut, das Leben zu feiern. Nicht so viel (oder auch gar nicht) darüber nachzudenken, was die Leute von einem denken. Sondern manchmal einfach zu springen.

(Ich selbst traue mich schon lange nicht mehr, vom Dreier zu springen. Und natürlich gibt es Situationen, in denen auch Alex der Mut verlässt …)