Wie alt bist du geworden? Donnerstag!

Neulich hat unser Samuel seinen 15. Geburtstag gefeiert. Als meine Frau ihn ein paar Wochen vorher fragte, was er sich denn wünsche, kam – keine Reaktion. Ob er überhaupt mitkriegt, dass wir bald seinen Geburtstag feiern? Wer weiß!? Samuel hat Down-Syndrom und ist Autist. Aber vielleicht ist er manchmal auch ganz einfach gerne schweigsam. Wie manche Männer, die ihre tägliche Anzahl Wörter eben schon mittags verbraucht haben.

Als meine Frau ihn dann am Vorabend seines Geburtstages bat, den runden Tisch freizuräumen (an dem er gerne sitzt und wo er seine Schätze vor sich ausbreitet), damit sie seine Geschenke darauf platzieren kann, hat er das schweigend, mit einem strahlenden Lächeln auf dem Gesicht getan.

Und als dann am Samstag sein großer Tag war, hat er ihn wirklich sichtbar genossen. Ein grandioses Frühstück! Geschenke auspacken (lauter Sachen, die er liebt)! Lieben Besuch!

Und telefonieren. Wenn er dabei gefragt wurde, wie alt er denn geworden sei, antwortete er mal „20“, mal „30“. Und als einer meiner Brüder ein paar Tage später nachträglich gratulierte, meinte Samuel auf dieselbe Frage: „Donnerstag!“

So ist das also mit Samuel und den Zahlen. Zumindest, solange sie abstrakt sind und keinen wirklichen Sinn ergeben. Denn wenn Samuel den Tisch für das Abendessen deckt (was er immer sofort tut, wenn man ihn darum bittet – dieses Verhalten scheint mir übrigens etwas auffällig), hat er immer die richtige Anzahl Teller und Messer parat.

Als ich nochmal über Samuels Geburtstag nachdachte, kam mir in den Sinn, wie Brian Doerksen kürzlich mal den Alltag von speziellen Familien beschrieben hat. Doerksen ist Musiker und Songwriter; der Kanadier schreibt moderne Kirchenlieder und ist immer wieder auch im deutschsprachigen Europa unterwegs.

Er und seine Frau Joyce sind Eltern von sechs erwachsenen Kindern – sie haben vier Töchter (ohne Syndrom) und zwei Söhne mit dem Fragilen-X-Syndrom. Das prägt natürlich nicht nur ihren Familienalltag, sondern wirkt sich immer wieder auch auf die Lieder aus, die Brian Doerksen schreibt.

Angestoßen durch die Corona-Einschränkungen hat er zu Weihnachten erstmals zu einem Online-Konzert eingeladen, das er in seinem privaten Studio in Kanada produziert hatte. Anlässlich von Ostern hat er zu einem weiteren Konzert eingeladen, und ich hatte mir Tickets besorgt und mir beide Konzerte mehrmals angeschaut (inzwischen ist das Oster-Konzert sogar frei zugänglich).

Zu Beginn des Ostervideos (Foto: Screenshot YouTube) fragt eine Freundin, wie ihre Jungs den Lockdown überstehen. Und weil mir scheint, die Antwort von Brian Doerksen beschreibt ganz gut, wie es uns Eltern von außergewöhnlichen Kindern in diesen Tagen so geht, zitiere ich ihn hier (frei übersetzt):

„Also Isaiah ist fast immer glücklich. Für Ben sind es wirklich harte Zeiten.

Tja, die Sache mit den Jungs ist die – dass ihre Persönlichkeiten so unterschiedlich sind, auch wenn sie beide das Fragile-X-Syndrom haben. Wir haben wirklich eine ganze Zeit gebraucht, um dahin zu kommen, dass wir annehmen, wer sie sind. … Und im Laufe der Zeit sehen wir ein unglaubliches Geschenk in beiden. Und die Herausforderungen.

Weißt du, Isaiah ist superzärtlich, er verschenkt und empfängt großzügig Liebe. Bei Isaiah ist es ungefähr so: „Pandemie? Großartig! Ich kann einfach zuhause bleiben, ich liebe meine Routine daheim!“

Während Ben öffentliche Veranstaltungen wie Konzerte, Kinobesuche total liebt, und darauf zu verzichten, fällt ihm echt schwer.

Wir haben also als Pflegende eine ganze Weile gebraucht, aber ich glaube, jetzt haben wir einen ganz guten Weg gefunden, sie auch durch die Pandemie zu begleiten.

Die Sache mit unseren Jungs ist einfach – es ist halt ein Auf und Ab. Wie ein Paradox. Du hast das unfassbare Geschenk, wie sie sind, und die Herausforderung – und zwar jederzeit. Und das wechselt manchmal so schnell: im einen Augenblick unglaubliches Lachen und große Freude, und im nächsten Moment fühlst du dich total überwältigt. …“

Zur Website briandoerksen.com